Medscape: Warum ist es denn überhaupt sinnvoll, so ein Verbot nur im Kindesalter auszusprechen?
Dr. Feddermann: Unstrittig ist, dass das kindliche Gehirn vulnerabler für Verletzungen ist, da es sich noch in der Entwicklung befindet. Ausserdem ist die Nackenmuskulatur weniger ausgeprägt und die Kopfballtechnik weniger ausgereift. Letzteres spricht aus meiner Sicht aber zugleich gegen ein Verbot im Jugendfussball.
Das Kopfballspielen ist elementarer Bestandteil der Sportart Fussball, man kann es nicht einfach abschaffen. Früher oder später sollten Fussballerinnen und Fussballer an das Kopfballspiel herangeführt werden, am besten spielerisch, kontrolliert und vor allem mit von der Größe und vom Gewicht her angepassten Bällen. Am besten geschieht das bereits im Kindesalter. Nachweislich erhöht sich die Anzahl der Synapsen nämlich nur bis ungefähr zum 10. Lebensjahr, danach wird, was nicht gebraucht wird, wieder reduziert. Das heißt, man kann bestimmte Dinge auch nur bis zu einem gewissen Alter lernen.
Medscape: Sind Kopfverletzungen im Fussball aus Ihrer Sicht also gar kein Problem?
Dr. Feddermann: Kopfverletzungen sollte sportartübergreifend eine besondere Beachtung geschenkt werden, da es sich in seltenen Fällen um eine potentiell schwere Verletzung handelt. Hier am Swiss Concussion Center betreuen wir täglich Sportlerinnen und Sportler, auch Fussballer, nach Kopfverletzungen. Im Fussball entstehen diese Verletzungen jedoch meist nicht durch Kopfballspiel, sondern zum Beispiel, weil zwei Spieler während eines Zweikampfes zusammenstossen.
Medscape: Muss sich also doch etwas ändern auf dem Spielfeld?
Dr. Feddermann: Aus meiner Sicht sollte man versuchen, den direkten Körperkontakt auf dem Spielfeld zu reduzieren, so dass sich Fußball von einem physischen noch mehr zu einem technischen Spiel entwickeln kann. Dafür müssen auch die Schiedsrichter geschult werden. In der Verletzungsprävention ist dieses Vorgehen längst gängige Praxis. Man analysiert, was der Hauptrisikofaktor für eine Verletzung ist und überlegt dann, ob man diesen minimieren kann. Vor der Fussball WM 2006 identifizierte eine vom Zentrum für medizinische Auswertung und Forschung der FIFA durchgeführte Studie den direkten Ellenbogenschlag gegen den Kopf als Hauptmechanismus für eine Kopfverletzung. Daraufhin wurde eine neue Regel festgelegt, nach der ein direkter Ellenbogenschlag mit dem Platzverweis geahndet wird.
Medscape: Bevor solche Regeländerungen in Kraft treten – was können Mannschaftsärzte, Trainer und Betreuer tun, wenn sich ein Spieler eine sportassoziierte Gehirnerschütterung oder eine der Unterformen zuzieht?
Dr. Feddermann: Es ist essentiell, so früh wie möglich eine korrekte Diagnose zu stellen, da es sich oftmals um kombinierte Verletzungen handelt und unterschiedliche Diagnosen unterschiedliche Therapiemassnahmen nach sich ziehen. Bei einer Gehirnerschütterung etwa wird eine initiale Ruhephase empfohlen. Ist aber das Gleichgewichtsorgan betroffen, ist eine schnelle körperliche Aktivität erforderlich, bzw. spezifische Therapiemassnahmen, um zentrale Kompensationsmechanismen einleiten zu können. Wenn man dem Spieler solche Maßnahmen vorenthält, kann dies zu langanhaltenden Beschwerden führen. Und es kann Langzeitfolgen haben. Zehn Tage Schwindel stellen einen Risikofaktor für die Entwicklung von affektiven Störungen wie Angst oder Depression dar. Um Spieler mit erhöhtem Risiko für einen längeren Verlauf frühzeitig zu identifizieren, sollten ärztliche Kollegen, die Spieler oder Mannschaften betreuen, deshalb unbedingt in einer frühen Phase einen Spezialisten hinzuziehen. Als Zentrum stehen wir Spielern, Mannschaftsärzten und Trainerteams gerne beratend zur Seite.
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